Von der Automatisierung bis Zero-Waste: Die Experten von BlackRock, BNP Paribas und Deutsche Börse/STOXX verraten im Interview, mit welchen ETFs Sie auf die Megatrends von Morgen setzen und langfristige Renditechancen am besten nutzen können Das Interview führte Frank Mertgen

€uro: Megatrends – das sind Entwicklungen, die die Welt verändern können. Aber jedes Haus beschreibt sie anders. Wie lautet Ihre Definition von Megatrends?

Claus Hecher (Regional Head of ETF Sales DACH and Nordics bei BNP Paribas Asset Management): Im Kern geht es bei Megatrends um langfristige wirtschaftliche Strömungen und die Antizipation künftiger Entwicklungen. Diese erkennen wir, indem wir volkswirtschaftliche Daten analysieren, beispielsweise zur Bevölkerungsentwicklung. Wenn die Daten darauf hindeuten, dass bestimmte Produkte oder Dienstleistungen künftig stärker nachgefragt werden, sprechen wir von einem Megatrend.
Das können zum Beispiel Bereiche wie die Pharmazie oder Medizintechnik sein. Oder nehmen wir die Digitalisierung: Hier sehen wir, wie viel Potenzial noch ungenutzt ist. Das identifizieren wir als klaren Megatrend. Investoren, die ihr Geld in Unternehmen anlegen, die in diesen aufstrebenden Feldern tätig sind, erwarten natürlich überdurchschnittliche Renditen.
Das motiviert sie, in Megatrends zu investieren.

Alice Hübener (Vice President, Manager Research & Strategic Clients, BlackRock): Wir nähern uns diesem Thema vor allem aus Kapitalmarktperspektive. Das aktuelle Marktregime weist eine erhöhte Volatilität auf und wird von bedeutenden strukturellen Kräften geformt, die wir als Megaforces bezeichnen. Es handelt sich dabei um große strukturelle Veränderungen, die sich auf das Investieren jetzt und weit in der Zukunft auswirken. Diese Trends haben weitreichende Auswirkungen auf langfristige Wachstums­ und Inflationsprognosen und verändern die Rentabilität verschiedener Wirtschaftssektoren grundlegend. Bei BlackRock haben wir fünf Schlüsseltrends identifiziert: digitale Disruption, insbesondere im Bereich der KI, demografische Divergenz, den Übergang zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft, geopolitische Fragmentierung und wirtschaftlicher Wettbewerb und schließlich die Zukunft des Finanzwesens. Diese Megatrends sind die Basis für unsere 28 Themenfonds, zu denen 18 iShares­ETFs gehören.

Christoph Schon (Senior Principal Applied Research, Deutsche Börse/STOXX): Es besteht ein wesentlicher Unterschied zwischen thematischem Investieren, das auf Mega­trends setzt, und dem traditionelleren Ansatz, der sich auf Länder und Sektoren konzentriert. Ein Megatrend zeichnet sich dadurch aus, dass er global ist und sich früher oder später weltweit manifestiert. Zudem ist er allgegenwärtig, das heißt, er betrifft alle Lebensbereiche, nicht nur Wirtschaft und Konsum, sondern auch Politik, Medien, kulturelle Werte und unser soziales Miteinander. Ein Paradebeispiel dafür ist die Smart­City­Infrastruktur, die zahlreiche Sektoren umspannt wie Technologie, Telekommunikation, Industrie, Versorgung und Immobilien. Es geht dabei nicht nur um Diversifikation, sondern auch um die gezielte Auswahl von Unternehmen, die von diesem Megatrend profitieren. Der Index beinhaltet spezifisch Hersteller von Solaranlagen, Firmen im Bereich der Cybersicherheit und Versorgungsunternehmen, die sich auf intelligente Abfallentsorgung und erneuerbare Energien spezialisiert haben, anstatt fossile Brennstoffe zu nutzen. Dies unterscheidet das thematische Investieren deutlich vom klassischen sektorbasierten Investieren.

Welche Vorteile sehen Sie speziell für Investoren?

Schon: Der entscheidende Vorteil liegt in der gezielten Investitionsstrategie. Nehmen wir das aktuelle Beispiel nach der russischen Invasion in der Ukraine. Wir sahen eine gemischte Performance im Versorgersektor: Unternehmen, die sich auf fossile Brennstoffe verlassen, hatten mit Kostensteigerungen und schlechter Performance zu kämpfen, während solche, die auf intelligente Abfallwirtschaft und Recycling setzten, plötzlich im Rampenlicht standen. Ein sektorbasiertes Investieren kann solche Nuancen nicht erfassen, während ein thematischer Ansatz es ermöglicht, gezielt in die relevanten und gefragten Bereiche zu investieren. Das ist der klare Vorteil des thematischen Investierens.

Hübener: Wir beobachten oft, dass die disruptive Kraft von Innovationen am Markt unterschätzt wird. Megatrends helfen uns, diese disruptiven Themen zu identifizieren und entsprechende Investitionsmöglichkeiten zu schaffen.

Hecher: Ich möchte den Unterschied zu länder- und sektorbasierten Ansätzen noch einmal betonen. Themenfonds, die auf Megatrends setzen, folgen in der Regel globalen Indizes, denn die relevanten Unternehmen gibt es häufig in allen Weltregionen. Ein weiterer Aspekt ist, dass sie verschiedene traditionelle Sektoren abdecken. Nehmen wir den ETF für Kreislaufwirtschaft: Hier suchen wir nach einem gemeinsamen Nenner bei den Unternehmen, die sich beispielsweise auf vollständig erneuerbare Ressourcen, Wiederverkauf, Reparatur und Aufbereitung konzentrieren. Diese Unternehmen können aus verschiedenen Sektoren stammen, von Konsumgütern über IT bis hin zu erneuerbaren Energien. Sie alle sind jedoch durch eine gemeinsame Vision in ihrem Wirtschaften verbunden.

BNP Paribas AM - Claus Hecher
Foto: BNP-Paribas-AM
Claus-Hecher

"Ein kritischer Faktor ist, ob ein Megatrend oder ein Thema durch  einen Index sinnvoll und diversifiziert darstellbar ist."

Claus Hecher leitet seit Juli 2016 den ETF-Vertrieb & Indexlösungen (D/A/CH) von BNP Paribas Asset Management im deutschsprachigen Raum. Er begann seine Berufslaufbahn 1987 bei der Deutschen Bank AG. Im Anschluss arbeitete er ab 2003 bei den Investmentbanken Bear Sterns und Natixis CIB. 2008 wechselte er zu Blackrock, um bis 2012 den Vertrieb von iShares ETFs in Deutschland und Österreich zu verantworten. Ab 2012 hat er das Sales Team von Natixis Global Asset Management beim Vertrieb von ETFs beraten. Claus Hecher hat ein Diplom der Ludwig-Maximilians-Universität München in Betriebswirtschaftslehre.

Lassen Sie uns einzelne Megatrends einmal vertieft ansehen. Die Kreislaufwirtschaft, die Sie gerade angesprochen haben, betrifft viele Sektoren und ist eng mit Konzepten wie der Blue Economy verknüpft, die den Schutz der Meere vor Abfällen wie Plastikmüll beinhaltet. Wie definieren Sie den Umfang dieses Bereichs, der scheinbar grenzenlos ist, und was sind die langfristigen Triebfedern?

Hecher: Zunächst ist es wichtig, den politischen Kontext zu betrachten. Die Europäische Kommission hat einen neuen Aktionsplan für die Kreislaufwirtschaft ins Leben gerufen, wodurch diese zu einem Schlüsselelement des Europäischen Green Deals wird. Das Ziel ist es, den Klimawandel zu bekämpfen, in dem wir Ressourcen schonen. Wir produzieren derzeit einfach zu viel Müll und verbrauchen zu viele natürliche Ressourcen. Des halb müssen wir Produktionsmethoden finden, die dem entgegenwirken. Wir müssen von einer linearen Wirtschaft, die auf Produktion, Konsum und Entsorgung basiert, zu einem Kreislaufmodell übergehen, das Wiederverwendung und Recycling fördert. So können wir den Ressourcenverbrauch und Abfall reduzieren. Das lässt sich in verschiedenen Sektoren umsetzen, ein Paradebeispiel sind erneuerbare Energien. Wenn wir Energie aus regenerativen Quellen anstelle der Verbrennung von Öl nutzen, schonen wir unser Ökosystem.

Moderne Technologien ermöglichen es auch, Abfall in Ressourcen für neue Produktionsprozesse umzuwandeln oder die Lebensdauer von Produkten zu verlängern. Ein weltbekannter Hersteller von Baumaschinen recycelt zum Beispiel über 90 Prozent des Materials aus seinen Produkten am Ende ihrer Lebensdauer. Oder betrachten Sie Cloud-Computing: Nicht jedes Unternehmen benötigt eigene IT-Server, und durch die gemeinsame Nutzung von Ressourcen können wir Energie sparen. Die Strategien mögen unterschiedlich sein, aber sie alle zielen in dieselbe Richtung.

Welchen Megatrend halten Sie für besonders anschaulich?

Hübener: Zum Beispiel den Megatrend digitale Disruption. Künstliche Intelligenz (KI), beschleunigt durch Verbraucher-Tools wie ChatGPT, ist eines der Themen, mit denen wir uns intensiv beschäftigen. Wir sehen, dass die Märkte noch dabei sind, das Potenzial dieser Technologien vollständig zu bewerten. Aber eines ist sicher: KI hat das Potenzial, ganze Branchen zu revolutionieren und den technologischen Fortschritt voranzutreiben. Zum Beispiel wird die KI eine enorme Nachfrage nach Halbleitern generieren, die die notwendige Rechenleistung bieten. Sie könnte auch den Einsatz von Metaverse-Technologien fördern und Fortschritte in der Automatisierung und Robotik vorantreiben. Dies könnte die Rückverlagerung von Produktionsstätten vom Ausland ins Inland erleichtern. Hier sehen wir, wie Megatrends interagieren, insbesondere in Bezug auf geopolitische Veränderungen und Lieferketten.

Schon: Automatisierung ist quasi der Inbegriff eines Megatrends und besteht schon seit 300 Jahren, seit der Erfindung der Dampfmaschine und dem Beginn der Ersten Industriellen Revolution. Dann ging es weiter mit Elektrifizierung, Fließbändern, Massenproduktion in der Zweiten und dem Übergang von der analogen zur digitalen Wirtschaft in der Dritten Industriellen Revolution. In diesen Phasen wurden vor allem manuelle, mechanische und oft gefährliche Aufgaben automatisiert. Das erlaubte es den Menschen, sich auf intellektuelle, kreative und sicherere Tätigkeiten zu konzentrieren. Was Industrie 4.0 einzigartig macht, besonders angesichts des schnellen Fortschritts der KI, ist, dass immer mehr intellektuelle und teilweise auch kreative Aufgaben an Maschinen abgegeben werden. Es ist vielleicht nur eine Frage der Zeit, bis Bereiche, die bisher Domänen menschlicher Intelligenz waren, wie Lehren, medizinische Diagnostik oder Finanzberatung, zumindest teilweise von Robotern übernommen werden.

Herr Hecher, könnten Sie vielleicht den Zusammenhang zwischen diesem Megatrend und der aktuellen Situation auf dem Energiemarkt erläutern? Zum Beispiel, warum gibt es Diskrepanzen zwischen dem, was Anleger erwarten könnten, und dem tatsächlichen Kursverlauf von Aktien in Branchen wie der Windenergie?

Hecher: Das ist ein wichtiger Punkt. Einige dieser Unternehmen, insbesondere im Small-Cap-Segment, erfahren einen Zustrom von Investitionen, der die Preise in die Höhe treibt, oft über ihren tatsächlichen Wert hinaus. Investoren könnten sich in einem spannenden Bereich wie der Wasserstoffwirtschaft wiederfinden, aber mit enttäuschenden Renditen, weil sie zu teuer eingestiegen sind. Dies ist auch bei einigen großen Unternehmen der Fall, die trotz voller Auftragsbücher noch keine Gewinne schreiben. Andererseits haben diversifizierte Fonds, die eine breitere Palette von Branchen abdecken, oftmals eine bessere Performance. Auch das Timing ist kritisch. Anleger, die früh in erneuerbare Energien investiert haben, hatten die Chance, hohe Renditen zu erzielen, wenn sie im richtigen Moment wieder ausgestiegen sind.

iShares by BlackRock - Alice Hübener
Foto: iShares / BlackRock
Alice-Hübener

"Der Markt unterschätzt oft die disruptive Kraft von Innovationen. Megatrends  helfen, disruptive Kräfte zu identifizieren und Investitionschancen zu schaffen."

Alice Hübener ist Teil des Teams Manager Research and Strategic Clients innerhalb des deutschen iShares & Wealth Teams. Das Team betreut deutsche Großkunden wie Homeoffices von Retailbanken, Privatbanken und Vertriebsnetze von strategischen Partnern. Bevor sie 2020 von der DWS zu BlackRock wechselte, war Alice Hübener zuletzt als Sales Specialist für Xtrackers ETFs tätig, nachdem sie bei der Deutschen Bank Wealth- Management-Erfahrungen gesammelt hatte. Alice Hübener hat einen Masterabschluss des Imperial College London sowie einen Bachelor-Abschluss der Universität Freiburg.

Frau Hübener, Sie haben sich schon einmal auf die aktuelle Lage bezogen und die Brücke zur aktuellen politischen Entwicklung geschlagen. Wie sehen Sie das Phänomen, dass kurzfristige Themen möglicherweise die Wahrnehmung von Megatrends verändern?

Hübener: Wir sind langfristig von den Themen überzeugt, die unsere Megatrends grundieren. Aber es ist unerlässlich zu bedenken, dass es sich um Aktieninvestitionen handelt, die auch den Schwankungen des Aktienmarkts unterliegen. Interessant ist vielleicht, wie wir die Konzeption unserer Indizes angehen. Wir berücksichtigen drei Säulen: erstens die regulatorische Unterstützung für das Thema, zweitens die gesellschaftliche Akzeptanz und drittens die ökonomische Tragfähigkeit oder Vorteile der Innovation. Diese Aspekte stärken unsere langfristige Überzeugung und bieten eine fundierte Basis.

Schon: Wir beobachten natürlich auch Markttrends und diverse Kennzahlen, darunter Fondsvolumen, Nettozu- und -abflüsse sowie Renditen. Daraus können wir Schlüsse ziehen, was Anleger aktuell interessiert und wie sie investieren. Zum Beispiel ist einer der größten ETFs, der auf unseren Indizes basiert, der bereits erwähnte Bereich „Automatisierung und Robotik“. In diesem Jahr sahen wir enorme Zuflüsse in „Elektrofahrzeuge“. Im letzten Jahr, nach der russischen Invasion in die Ukraine, war „digitale Sicherheit“ aufgrund erhöhter Hackerangriffe beliebt. Nach Covid war „Breakthrough Healthcare“ gefragt. Obwohl diese Themenfonds für langfristige Investments konzipiert sind, hindert das Anleger nicht daran, kurzfristig einzusteigen, wenn sie aufgrund geopolitischer oder wirtschaftlicher Entwicklungen Potenzial sehen.

Wir haben bereits verschiedene Aspekte angesprochen, die bei der Identifizierung eines Megatrends berücksichtigt werden. Wenn Sie ganz am Anfang stehen und Ihre Produktpalette erweitern möchten, wie gehen Sie vor, um einen neuen Megatrend zu identifizieren?

Hecher: Ein kritischer Faktor ist, ob ein Megatrend oder Thema durch einen Index sinnvoll und diversifiziert darstellbar ist. Wir müssen prüfen, ob ausreichend große börsennotierte Unternehmen vorhanden sind, die eine Mindestmarktkapitalisierung von 500 Millionen Euro erfüllen, und ob sie eine angemessene Börsenliquidität aufweisen, mindestens fünf Millionen Euro Umsatz pro Tag. Dies ist erforderlich, da ETFs börsenhandelbar sind und Market Maker kontinuierlich Liquidität sicherstellen müssen. Manchmal sind die spannendsten Unternehmen für einen Trend nicht börsennotiert, sondern Private Equity. Ein Unternehmen kann erst in einen Index aufgenommen werden, wenn es an der Börse ist. Bei KI profitieren beispielsweise Großkonzerne wie Microsoft und Nvidia, die in entsprechenden Indizes enthalten sein können. Aber nicht jedes Themeninvestment ist so einfach, besonders wenn es um kleinere, innovative Firmen geht. Manche Themen lassen sich einfach nicht über den Aktienmarkt abbilden.

STOXX  - Christoph Schon
Foto: STOXX
Christoph Schon

"Automatisierung ist Inbegriff eines Megatrends und besteht schon seit 300 Jahren –  seit Erfindung der Dampfmaschine als Start der Industriellen Revolution."

Christoph Schon verantwortet als Senior Principal das Applied Research beim Indexanbieter STOXX in London, wo er sich hauptsächlich mit anlageklassenübergreifender Risikoanalyse und mit thematischen Anlagestrategien beschäftigt. Davor war Herr Schon bei UBS Investment Bank, Barclays Capital und Lehman Brothers im Bereich der Portfoliorisiko- und Performance-Analyse tätig. Er begann seine Karriere im Jahr 2000 als Rentenanalyst bei der Dresdner Bank in Frankfurt, nachdem er ein Wirtschaftsingenieurstudium mit Schwerpunkt Elektrotechnik an der TU Darmstadt absolviert hatte.

Herr Schon, wie identifizieren Sie bei STOXX langfristige Investitionschancen?

Schon: Die Ideenfindung erfolgt bei uns auf verschiedenen Ebenen. Unser Produktentwicklungsteam fungiert als eine Art Denkfabrik und betreibt umfangreiche Marktforschung. Wir analysieren bestehende Fonds, neu eingeführte Produkte und beobachten Zu- und Abflüsse. Dabei klassifizieren wir Produkte beispielsweise nach Themen, um genau zu verstehen, was Investoren derzeit suchen. Wir führen auch Gespräche mit unseren Kunden, darunter Vermögensverwalter, Banken, Versicherungen und Hedgefonds, und arbeiten eng mit unseren Partnern bei ETF-Anbietern zusammen. Diese Partnerschaften helfen uns, den Puls der Investoren zu spüren und zu verstehen, was gefragt ist.

Gab es denn einen Index, den Sie in Erwägung gezogen, aber letztendlich nicht umgesetzt haben?

Schon: Die Frage, ob wir in ein bestimmtes Feld einsteigen sollen oder nicht, kommt immer wieder auf. Ein kritischer Faktor für uns ist dabei die Zuverlässigkeit der zugrunde liegenden Datenquellen, da wir langfristige Verfügbarkeit benötigen. Unsere größte Sorge ist, einen Index auf Basis einer Datenquelle aufzubauen, die dann plötzlich verschwindet. Deshalb sind wir bei neuesten Trends manchmal vorsichtiger.

Frau Hübener, könnten Sie uns einen Einblick in Ihre Werkstatt geben?

Hübener: Unsere Plattform für thematisches Investieren kombiniert aktive und ETF-basierte Investmentansätze. Unser Team, auch „Thematic Research Investment Group“ genannt, spielt eine zentrale Rolle bei der Ideenfindung. Wir bewerten auch das mögliche Investmentuniversum. Wenn es sich um einen breit gefächerten und vielfältigen Markt handelt, bei dem die Gewinne der einzelnen Unternehmen stark voneinander abweichen, tendieren wir eher zu einem aktiven Ansatz, der mehr Spielraum für die Titelauswahl lässt. Ein aktiver Ansatz kann auch bevorzugt werden, wenn der Markt noch nicht ausgereift ist, sodass unser Portfoliomanager sich an Börsengängen beteiligen kann. Bei kleineren Differenzen oder wenn es um Unternehmen geht, die noch nicht börsennotiert sind, es aber bald sein könnten, ist ein ETF-Ansatz geeigneter. Obwohl ich viele Gründe für den aktiven Ansatz genannt habe, basieren viele unserer thematischen Fonds tatsächlich auf ETFs, da diese oft nach gründlicher Analyse den spannenderen Weg darstellen.

Wichtig ist auch die kontinuierliche Betreuung eines ETFs nach dessen Einführung. Worauf achten Sie beim Monitoring und der möglichen Weiterentwicklung eines solchen Finanzprodukts?

Hecher: Ein kritischer Punkt ist sicherzustellen, dass der Turnover im Rahmen bleibt, um Handelskosten zu vermeiden und Stabilität zu gewährleisten. Gelegentlich bedeutet dies, dass wir bei einigen ETFs bis zu zehn Prozent der Aktien zum Rebalancing-Termin austauschen müssen, eine normale Quote. Was unsere Themenindizes angeht, so streben wir eine Gleichgewichtung an, bei der auch kleinere Unternehmen fair repräsentiert werden. Jedes Unternehmen hat in einem Pool von 50 Aktien beispielsweise ein konstantes Gewicht von zwei Prozent. Diese Ausgewogenheit abseits von übergroßen, kapitalstarken Aktien hat sich positiv auf die Performance ausgewirkt, im Vergleich zu traditionellen Bluechip-Indizes.

Wie handhaben Sie bei STOXX die Begleitung von Indizes in Ihrem Haus?

Schon: Wir achten darauf, dass die Marktumwälzungen nicht zu drastisch sind, indem wir nur einmal jährlich ein umfassendes Rebalancing vornehmen. Dazwischen werden unsere Indizes vierteljährlich überprüft und angepasst, um die von den UCITS-Richtlinien vorgeschriebene Diversifikation und Höchstgrenzen für die Gewichtung von Einzeltiteln einzuhalten. Dabei berücksichtigen wir auch ESG-Kriterien, um Nachhaltigkeit und soziale Verantwortung zu gewährleisten. Das Hauptziel ist es, dass der Index das Anlagethema korrekt widerspiegelt, und falls notwendig, passen wir die Kriterien in Zusammenarbeit mit den ETF-Anbietern an.

Wenn ein Anleger nun von der Thematik überzeugt ist und ein langfristiges Portfolio aufbauen möchten, das von globalen Trends profitiert, wie sollte er vorgehen?

Hübener: Wir identifizieren im Grunde genommen drei Strategien, die unsere Anleger verfolgen. Die erste ist eine sanfte Integration, bei der thematische Investments globale Aktien ergänzen oder ersetzen. Diese Methode ist ideal für Einsteiger, da sie nur minimale Anpassungen erfordert. Am häufigsten sehen wir jedoch den Core-Satellite-Ansatz: Ein Großteil des Portfolios besteht aus Kerninvestitionen, ergänzt durch thematische „Satelliten“, in die Anleger gezielt investieren. Diese Strategie erlaubt eine effektive Risikosteuerung durch die Balance zwischen Kern- und Satelliteninvestitionen. Die dritte Methode stellt thematische Fonds in den Vordergrund, wobei das Hauptaktienportfolio auf verschiedene Themen aufgeteilt wird. Anschließend können Anleger ihre Portfolios hinsichtlich ungewollter Wetten in bestimmten Bereichen analysieren und gegebenenfalls durch traditionelle Investments ausgleichen.

Hecher: Wir sollten hierbei zwischen verschiedenen Anlegertypen unterscheiden. Der durchschnittliche ETF-Einzelanleger, der über Onlinebanken investiert, zieht oft themenbezogene, global ausgerichtete ETFs in Betracht, die einen herkömmlichen ETF, der den MSCI World Index abbildet, ersetzen könnten. Beispielsweise hat der Circular Economy Index ähnliche Eigenschaften wie der MSCI World, bietet jedoch langfristig eine bessere Performance. Für professionelle Anleger, insbesondere in der Vermögensverwaltung, ist ein regional orientierter Ansatz bei Aktien üblich, ergänzt durch eine Mischung aus Staats- und Unternehmensanleihen. Unsere Simulationen zeigen, dass Satelliten-Investments die Performance einer klassischen Asset-Allokation steigern können. Das Hin zufügen von Nischeninvestitionen wie japa nischen Small Caps, US Small Caps oder Rohstoff-ETFs kann die Renditen verbessern und das Risiko erhöhen, jedoch nur in einem vernünftigen Rahmen. Interessanterweise verbessert der Einsatz einer Vielfalt von Themen-ETFs die Renditen noch weiter und das bei einem verhältnismäßig geringen Risikoanstieg. Wir beobachten, dass große Vermögensverwaltungen spezielle Investmenttöpfe für eine solch breite Palette von Themen-ETFs bereitstellen, um die gesamte Asset-Allokation zu bereichern.

Herr Schon, aus der Risikomanagement-Perspektive, was raten Sie den Investoren?

Schon: Wir erleben bei unseren Kunden oft eine gewisse Zurückhaltung, insbesondere im Kern des Portfolios. Viele sind vorsichtig und möchten keine erheblichen Abweichungen von ihren Benchmarks riskieren. Es war schon eine Herausforderung, sie von der Bedeutung nachhaltiger Indizes zu überzeugen, und eine Umstellung auf thematische Investments ist noch schwieriger. Das ist ein langwieriger Prozess, der viel Überzeugungsarbeit erfordert. Was wir sehen, sind eher kurzfristige, taktische Investments, bei denen aktuelle geopolitische oder wirtschaftliche Situationen ausgenutzt werden. Eine komplette Umstellung des Kernanlageportfolios auf thematische Strategien scheint jedoch in naher Zukunft unwahrscheinlich.

BNP Paribas AM - Claus Hecher
Foto: BNP Pariabas Asset Management

Weitere Informationen zum ETF - HIER klicken

Frau Hübener, die Strategien, die Sie erwähnt haben, scheinen alles andere als trivial zu sein. Sind sie für Privatanleger auch gut umzusetzen?

Hübener: Privatanleger haben in der Tat unterschiedliche Kenntnisse und Risikobereitschaften. Themenfonds haben jedoch den Vorteil, dass sie eine Verbindung zwischen realen Weltthemen und Investmentportfolios herstellen. Dies bietet eine großartige Gelegenheit für Anleger, sich intensiver mit ihren Investments zu beschäftigen, und wir versuchen, dabei zu unterstützen, indem wir dazu umfassende Informationen auf unserer Website bereitstellen. Dies soll die Neugier der Anleger wecken und das Interesse an weiterem Wissen im Bereich ETF und themenbezogener Investments fördern.

Herr Hecher, haben Sie Ratschläge, wie man sich als privater Anleger diesem Bereich nähert?

Hecher: Nun, der Schlüssel liegt in der richtigen Information. Privatanleger, die über Onlinebroker handeln, bekommen dort lediglich Marktzugang, aber nicht unbedingt die Informationen, die sie benötigen. Sie sollten Fachwebsites wie das Extra-Magazin oder Just-ETF für Daten nutzen und sich in sozialen Medien und Foren mit anderen ETF-interessierten Anlegern austauschen. So er fahren sie von neuen ETFs, können sich Meinungen bilden, vielleicht sogar basierend auf der Weisheit der Gruppe, und dann ihre Investitionsentscheidungen treffen.

iShares by BlackRock / Alice Hübener
Foto: iShares/BlackRock

Weitere Informationen zum ETF - HIER klicken

Abschließend ein Blick in die Zukunft: Wie sehen Sie bis 2030 die Zukunft des thematischen Investierens, besonders in Bezug auf Megatrends?

Schon: Es gibt ein Missverständnis, dass thematisches Investieren immer mit neuer Technologie verbunden sein muss. Natürlich ist das oft der Fall, aber wir sehen auch eine enorme Nachfrage nach nachhaltigkeitsorientierten Produkten, besonders jetzt, da sich das Augenmerk zunehmend auf den Schutz der Biodiversität und das Erreichen von Nettonull-Emissionszielen richtet. Das sind Bereiche, auf die wir uns stark konzentrieren, und wir sehen hier sowohl kurz- als auch mittelfristig enormes Potenzial.

Hübener: Ich möchte betonen, dass die Auswirkungen dieser Megatrends nicht in einer fernen Zukunft liegen. Viele bestimmen bereits heute die Renditen und Risiken für Unternehmen, was Investoren nicht ignorieren dürfen. Künstliche Intelligenz und der Übergang zu einer kohlenstoffärmeren Wirtschaft sind zwei Bereiche, die aus Kapitalmarktsicht eine enorme transformative Kraft haben. Auch wenn wir die Zukunft nicht vorhersagen können, bin ich überzeugt, dass diese Themen uns noch viele Jahre beschäftigen werden. Wir überwachen und bewerten kontinuierlich die Relevanz unserer thematischen Engagements, um uns an eine sich verändernde Welt anzupassen, und konzentrieren uns auf Innovationen mit neuen Produkten, um Zugang zu diesen strukturellen Themen zu bieten, die den Wandel vorantreiben.